Guatemalas Indigene: Die Rechtschreibung ist wichtiger als die Gerechtigkeit

Guatemala-Stadt. "Die Soldaten kamen mit Kampfhubschraubern. Sie waren schwer bewaffnet und hatten die Gesichter schwarz angemalt", berichtet der Bürgermeister der indigenen Gemeinde Ixcán im Norden Guatemalas. "Zuerst haben sie die Schule genommen und die Kinder am Verlassen der Klassenzimmer gehindert. Dann sind sie in die einfachen Behausungen unseres Dorfes eingedrungen, haben mit ihren Waffen auf die Frauen gezielt und wahllos Arbeitsgeräte an sich genommen. Frauen und Kinder flüchteten entsetzt in die Berge. Sie fühlten sich an das erinnert, was sie im Bürgerkrieg erlitten hatten."

Die Razzia in Ixcán fand vor wenigen Wochen statt und galt laut Innenministerium der Suche eines Waffenversteckes. Sie wurde inzwischen vom guatemaltekischen Ombudsmann für Menschenrechte, Sergio Morales, untersucht und scharf kritisiert. Denn das martialische Vorgehen der Armee beschwor böse Erinnerungen an deren Massaker im vergangen geglaubten Bürgerkrieg hervor. Er hatte am 29, Dezember 1996 geendet, nach 36 Jahren Dauer. Von den 200 000 Todesopfern und Verschwundenen, die der Konflikt verursacht hatte, waren die meisten Mayas und andere indigene Ureinwohner Guatemalas. Die Täter hingegen waren in der Regel Angehörige des guatemaltekischen Heers oder von der Regierung gedeckte Paramilitärs.

45 Prozent der 13 Millionen Einwohner Guatemalas sind Indios. Sie leiden nach wie vor unter dem "anhaltenden Rassismus der guatemaltekischen Gesellschaft", wie der Ombudsmann in einer Analyse zum zehnjährigen Jubiläum der Friedensverträge schreibt. Entgegen den Bestimmungen der Friedensverträge von 1996 gibt es bisher kein Gesetz über das während des Bürgerkrieges geraubte Land der Indios. Entgegen den Friedensverträgen können internationale Konzerne nach wie vor Bergbaukonzessionen in Indiogebieten erwerben, ohne dass die Bevölkerung um Zustimmung gefragt werden muss. So weist die Wirtschaftsstatistik Guatemalas eine kräftige Zunahme des Bruttoinlandproduktes aus, während die Armut unter den Indios steigt. Zugenommen haben dort in den letzten zehn Jahren die Müttersterblichkeit, der Analphabetismus und die Unterernährung. Am schlimmsten sind die Zustände in den Volksgruppen der Tektiteko, Ixil, Chorti, Chuj und Mam. Dort leiden laut im Dezember veröffentlichten Zahlen drei von vier Menschen permanent Hunger.

Amílcar Méndez war einer der ersten, die sich bereits in den 80er Jahren in Guatemala für die Rechte der Indios eingesetzt hat. Im Ausland hat der Politiker und Menschenrechtsaktivist seither mehrere Auszeichnungen erhalten. Daheim in Guatemala erhält er bis heute anonyme Todesdrohungen. Méndez sagt: "Viele mit den Friedensverträgen eingegangene Verpflichtungen hat der Staat nicht umgesetzt". Darum seien bis heute "die Gründe, die einst Bürgerkrieg geführt hatten, nicht behoben". Zu diesen zählt Méndez die "extrem ungleiche Verteilung des Landes", den "archaischen Kapitalismus Guatemalas" und die "Untätigkeit der Gerichte".

Zehn Jahre nach dem Friedensschluss warten immer noch Tausende von Indigenen auf Gerechtigkeit. Die Justiz hat bisher keinen der Verantwortlichen des Bürgerkrieges zur Rechenschaft gezogen. Aufsehen erregt in Guatemala darum das Vorgehen von Rigoberta Menchú. Die 1992 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Indioführerin hatte den früheren Militärdiktator Efraín Ríos Montt und fünf weitere hohe Militärs 1999 vor der spanischen Justiz verklagt, wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Die kurze Herrschaft von Rios Montt, von 1982 bis 1983, gilt als die blutigste Phase des Bürgerkriegs, und hatte laut Menchú die "Politik der verbrannten Erde" im Maya-Hochland zum Ziel. Doch während viele Guatemalteken Menchú heute als "Verräterin" beschimpfen, genießt Rios Montt nach wie vor seine Freiheit. Ein Festnahmegesuch Spaniens, zwecks späterer Auslieferung, hat Guatemalas höchstes Gericht Anfang Dezember abgelehnt. Zur Begründung gaben die Richter einen Schreibfehler in den von Spanien eingereichten Dokumenten an.