María Dolores Alemán ist in Nicaragua soeben als Parlamentarierin wiedergewählt worden. Nun benötigt sie ein neues Auto. Passend erscheint ihr ein BMW (Kostenpunkt 52 000 Franken). Rechtzeitig vor dem aktuellen Machtwechsel in Managua hat sie, wie Dutzende ihrer Parlamentskollegen in Managua, den zollfreien Import der Luxuskarrosse beantragt. Denn der neuen Regierung könnte es in den Sinn kommen, das happige Steuergeschenk zu kappen.
Die Eile Alemáns wäre nicht nötig gewesen. Denn kaum hat der frühere linke Revolutionsführer Daniel Ortega letzte Woche erneut die Präsidentschaft Nicaraguas angetreten, ließ der Ex-Guerillero mit Lieblingsmarke Mercedes-Benz signalisieren, dass er die Politikerprivilegien des verarmten Landes nicht antasten wird. Dabei gäbe es genügend Möglichkeiten bei Nicaraguas Parlamentariern zu sparen: Neben einem jährlichen Grundgehalt von umgerechnet 64 000 Franken erhalten sie zahlreiche Sonderleistungen wie etwa 9000 Liter Gratisbenzin, eine grosszügige Lebensversicherung und nicht zuletzt einen üppig dotierter Fonds für so genannte soziale Werke, dessen wahre Verwendung niemand wirklich kontrolliert. Insgesamt belaufen sich die Jahresbezüge jedes der 92 nicaraguanischen Abgeordneten damit auf mindestens 124 000 Franken, steuerfrei versteht sich. Das ist das 100-fache eines normalen Lehrergehalts in Nicaragua und immerhin noch ein paar Tausender mehr, als ein Nationalrat in Bern an Lohn und Spesen kassiert.
Was geht die Privilegienwirtschaft in Managua die Schweiz an? Mehr, als manche Steuerzahler hierzulande vermuten. Denn Nicaragua gehört nicht nur zu den Schwerpunktländern der schweizerischen Entwicklungshilfe, das mittelamerikanische Land dient ihr auch als internationales Vorzeigemodell für eine neue Strategie namens "Budgethilfe". Von dem auf 21 Millionen Franken aufgestockten Jahresetat, den Bern dieses Jahr nach Managua überweist, geht darum nur noch ein Teil in klassische Entwicklungsprojekte wie dem Bau von Brunnen oder der Förderung von Schulen. 6,5 Millionen Franken fliessen direkt und ohne spezifische Zweckbindung in den nicaraguanischen Staatshaushalt. Die Traumgehälter in Nicaraguas Politikerkaste werden damit auch von der Schweiz mitfinanziert.
Initiant der Budgethilfe ist das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco, das auch die Direktzahlungen an den nicaraguanischen Haushalt organisiert. Dessen Leiter Jean-Daniel Gerber preist die Budgethilfe als "intelligente Form, Hilfsgelder zugunsten von Wachstum und Armutsreduktion zu investieren". Dahinter steckt die Einsicht, dass die bisherige klassische Entwicklungshilfe – Stichwort „Brunnenbauen“ – wohl im Einzelfall eine Wohltat sein kann, auf die Armut aber keinen Einfluss hat.
Nach Ortegas sandinistischer Revolution im Jahre 1979 wurde Nicaragua zu einer Art Mekka für staatliche und private Entwicklungshelfer aus aller Welt. Heute erhält das Land pro Kopf und Jahr 283 Franken an staatlicher Hilfe aus dem Ausland. So viel Entwicklungshilfe erhält niemand sonst in Lateinamerika, und auch niemand in Afrika. Lediglich die Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten sowie die Bewohner der Solomon Inseln im Südpazifik werden noch grosszügiger von der internationalen Gemeinschaft gesponsert. Doch die Früchte der Hilfe lassen auch nach über einem Vierteljahrhundert weiter auf sich warten. In der internationalen Armutsstatistik belegt Nicaragua hartnäckig einen der letzten Plätze, gelten 47 Prozent der gut fünf Millionen Nicaraguaner als extrem arm, ist jeder dritte Einwohner Analphabet, geht jedes fünfte Kind nicht zur Schule.
Angesichts der Erfolglosigkeit des Brunnenbauens setzt sich die Schweiz darum schon seit 2003 international für den alternativen Weg der direkten Budgethilfe für arme Staaten ein. In Nicaragua angefangen hat sie damit im Jahr 2003, zusammen mit sechs weiteren europäischen Ländern. Gemeinsam mit der Weltbank subventionieren sie dieses Jahr den defizitären Staatshaushalt Nicaraguas mit 104 Millionen Franken. Der Empfänger in Managua entscheidet frei, wofür er diese Mittel verwendet - ob für den Bau von Schulen, oder eben für die Privilegien seiner Parlamentarier.
Für das Seco ergibt das Vorgehen trotzdem Sinn. Über die Pressestelle lässt das Staatssekretariat erklären: "Obwohl bei der Budgethilfe keine Zweckbindung im herkömmlichen Sinn existiert, kann man nicht behaupten, dass es sich dabei um einen Blankoscheck oder um einen frei verfügbaren Zuschuss in die Staatskasse handle. Die Budgethilfe ist mit konkreten Verpflichtungen der nicaraguanischen Regierung verknüpft, ein nachhaltiges Reformprogramm umzusetzen." Kernpunkt der Budgethilfe ist demnach die "Armutsbekämpfungsstrategie", zu der sich die nicaraguanische Regierung verpflichtet hat. Diese werde mittels einer "Performance Assessment Matrix" von den europäischen Geberländern überprüft. Auf dieser Grundlage werde dann ein "Politikdialog" geführt.
Nun hat schon jede neue Regierung – mit oder ohne Budgethilfe aus dem Ausland - „Reformprogramme“ angekündigt, nach denen alles viel besser werden sollte. Und was man in Nicaragua unter Politikdialog versteht, hat bereits 1997 Arnoldo Alemán demonstriert, Vater der BMW-fahrenden Abgeordneten Maria Dolores und damals Präsident des Landes. Als Peter Spycher, ehemaliger Leiter der schweizer Entwicklungshilfe in Nicaragua, es wagte, von Presidente Alemán ultimativ eine Aussprache über die Verwendung der ausländischen Gelder zu fordern, wurde er innert 48 Stunden aus dem Land verwiesen – und die Schweiz kuschte brav. Dabei war Spycher durchaus auf der richtigen Spur: rund 250 Millionen Dollar soll Alemán während seiner Amtszeit veruntreut haben, wie später bekannt wurde. Ein Teil der Gelder wurden in Panama und den USA blockiert, in Nicaragua ist der korrupte Arnoldo Alemán inzwischen verurteilt. Weitere Verfahren in den USA und in Panamá sind pendent.
Alemán, laut Transparency International (TI) einer der weltweit zehn korruptesten Regierungschefs, ist seit nunmehr sechs Jahren nicht mehr im Amt. Und statt Spycher leitet heute Jürg Benz die Schweizer Entwicklungshilfe in Managua. Er spricht von einem "sehr viel offeneren und konstruktiven Dialog" mit der Regierung und wird nicht müde, deren "Erfolge im Kampf gegen die Korruption" zu betonen. Die Rankings von „Transparency International“ sprechen allerdings eine andere Sprache: Hier belegt Nicaragua, das Vorzeigemodell helvetischer Entwicklungshilfe, nach wie vor und Jahr um Jahr einen der schlechtesten Plätze in der weltweiten Korruptionsrangliste.
Und trotz Politikdialog reißen die Fälle von Bestechung und Unterschlagung nicht ab. Im Verkehrsministerium verschwinden Entwicklungsgelder für den Straßenbau. Bei Staatsanwaltschaft und Polizei verschwinden Kokain und beschlagnahmte Drogengelder. Im nationalen Grundstücksregister sorgen korrupte Beamte dafür, dass staatliche Liegenschaften zu Spottpreisen an Amigos verscherbelt werden. Und in der nationalen Statistikbehörde hat deren bisheriger Chef, Néstor Delgadillo, die knappen Mittel der Behörde für einen ganz besonderen Zweck verwendet: Er ließ seine nach einem Motorradunfall beschädigte Nase bei einem Schönheitschirurgen wieder herstellen, auf Staatskosten. Oder eben: Mitgesponsert von den Steuerzahlern in der Schweiz.
Eine letztjährige Untersuchung zu den Budgethilfezahlungen an Nicaragua kommt zu dem Ergebnis, das auch aus der klassischen Entwicklungshilfe bekannt ist: bisher keine messbaren Erfolge. Die im Auftrag des Entwicklungsausschuss der OECD erstellte Studie liefert auch die Erklärung, welche den „partnerschaftlichen Dialog“ als bestenfalls naive Vorstellung der europäischen Geberländer entlarvt: Ein grundlegender Wandel erfordere "ein Ausmaß an Reformbereitschaft, das im Kontrast steht mit der fragilen sozialen, politischen und institutionellen Kontext eines Landes wie Nicaragua."