Die Mexikanerin Lucia Morett überlebte die Attacke der kolumbianischen Armee auf ein FARC-Lager in Ecuador, von Anfang März. Seither spaltet die 26-jährige Philosophiestudentin mit ihren Erklärungen vom Krankenhausbett aus Mexikos Öffentlichkeit. Die einen sehen sie als Kronzeugin für Kolumbiens menschenrechtswidrigen und damit aussichtslosen Kampf gegen die Guerilla. Die anderen verdächtigen sie, FARC-Sympathisantin zu sein. Dazwischen laviert Mexikos Regierung. Nur widerwillig setzt sie sich für Morett und die vier von Kolumbiens Armee getöteten mexikanischen Studenten ein.
„Ich bin Opfer eines Massakers", sagt Morett. In einer von der Lateinamerikanischen Menschenrechtsvereinigung (ALDHU) verbreiteten Videoaufzeichnung berichtet sie über die Nacht des 1. März, als Kolumbiens Armee den FARC-Kommandanten Raúl Reyes und rund 20 weitere mutmaßliche Guerillakämpfer tötete: „Ich hörte Leute, die die Toten zählten, und Leute, die um Hilfe schrien, die sagten: 'Ich bin verletzt, Hilfe!'. Dann (hörte ich) eine andere Person, die sagte: ‚Gib ihm die Kugel, gib ihm die Kugel', und danach Schüsse."
Bestätigt wurden Moretts Aussagen durch die beiden anderen Überlebenden, zwei Kolumbianerinnen, gegenüber der ALDHU. Demnach töteten Kolumbiens Soldaten nicht nur wehrlose Verletzte, sondern auch diejenigen, die der Aufforderung gefolgt waren, sich zu ergeben. Erst die nahende ecuadorianische Armee veranlasste die kolumbianischen Soldaten, zurück über die Grenze zu flüchten. Das rettete die drei Frauen. Sie kamen ins Militärkrankenhaus nach Quito. Dort erholen sie sich bis heute von ihren Verletzungen.
Kein Glück hatten vier weitere mexikanische Studenten, die zusammen mit Morett am Tag zuvor im FARC-Lager angekommen waren. Sie starben. Morett und die Familienangehörigen ihrer Mitstudenten fordern seither von Mexikos Regierung „energische Schritte" gegenüber Kolumbiens „horrenden Verbrechen" im Kampf gegen die FARC-Guerilla.
Unterstützt werden die Familien der getöteten Studenten auch von der mexikanischen Menschenrechtsliga (1). Sie fordert, dass Mexiko vor dem internationalen Strafgerichtshof Klage gegen Kolumbien einreicht. Denn Mexiko sei laut Verfassung und internationalen Abkommen verpflichtet, seine Bürger vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen, weltweit.
Doch während Kolumbiens zweifelhafte Methoden im Kampf gegen die FARC eine schwere Krise mit Ecuador und dessem Bündnispartner Venezuela provozierten, hält sich Mexiko bisher heraus. Es schwieg selbst dann, als Kolumbiens Verteidigungsminister Juan Manuel Santos jegliche Verantwortung für die vier getöteten Mexikaner von sich wies. Das FARC-Lager sei ein „legitimes militärisches Ziel" im Kampf Kolumbiens „zur Verteidigung der Demokratie" gewesen.
Schnell aktiv geworden ist indessen die Generalstaatsanwaltschaft Mexikos. Sie ermittelt seit knapp drei Wochen – über die Verbindungen der Studenten mit der FARC. In dieser Angelegenheit arbeiten die Mexikaner eng mit den kolumbianischen Behörden zusammen.
Tatsächlich ist die Präsenz der Mexikaner im FARC-Lager rätselhaft. Ein Teil der mexikanischen Presse hat die Studenten darum bereits als FARC-Sympathisanten oder gar angehende Guerilla-Kämpfer dargestellt. Morett wies die Anschuldigungen zurück. „Ich bin keine Guerillakämpferin", betonte sie von Quito aus. Sie und ihre Mitstudenten hätten im Guerilla-Lager lediglich eine wissenschaftliche Untersuchung über „Volkskultur" und „soziale Prozesse in Lateinamerika" durchführen wollen.
Moretts Erklärung mag blauäugig erscheinen, ist aber gemäß ihren Professoren von der angesehenen UNAM (2) in Mexiko Stadt glaubhaft. Demnach ist Morett eine hervorragende Studentin – mit „eigenen politischen Ideen."
Auf Druck des Senats, der UNAM und der Familien der Studenten hin äußerte sich Mexikos konservativer Präsident Felipe Calderón am vergangenen Samstag (29.3.) schließlich zu den getöteten Studenten. Er ließ sein Bedauern mitteilen und bat Kolumbien um Aufklärung.
Doch da hatte Morett bereits das Vertrauen in ihr Land verloren. Zwei Tage zuvor hatte sie in Ecuador um politisches Asyl gebeten. Ecuador will in den nächsten Tagen darüber entscheiden.
(1) Mex. Menschenrechtsliga heißt korrekt: Mexikanische Liga zur
Verteidigung und Förderung der Menschenrechte (Limeddh).
(2) UNAM: Autonome Nationale Universität Mexiko