El Salvador: 15 Jahre nach dem Friedensschluss haben sich die Wunden nicht geschlossen

SAN JOSÉ. Fünfzehn Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs in El Salvador sieht sich das Land immer noch im Würgegriff von Gewalt und Armut. Die Kirchen des mittelamerikanischen Landes riefen darum am Donnerstag (Ortszeit) zu einem "Pakt für soziale Gerechtigkeit" auf. Zugleich kritisierten Menschenrechtsorganisationen die 1993 vom salvadorianischen Parlament erlassene Amnestie für die während des Konfliktes begangenen Verbrechen. "Es wurde keine wahre Versöhnung erreicht", teilte die "Kommission der Familienangehörigen der Opfer von Menschenrechtsverletzungen" (Codefam) am Donnerstag in der Hauptstadt San Salvador den Medien mit. Ähnliche urteilte die regierungsunabhängige Menschenrechtskommission El Salvadors (CDHES). Sie teilte mit: "Die durch Morde, erzwungenes Verschwinden und Massaker hervorgerufenen Wunden haben sich nicht geschlossen, weil es keine Gerechtigkeit für die Opfer gibt. Um sie zu schließen, muss das Amnestiegesetz abgeschafft werden."

Am 16. Januar 1992 hatten die rechtsgerichtete Regierung El Salvadors mit der linken Rebellengruppe FMLN in Mexiko eine Reihe von Friedensverträgen unterzeichnet. Sie beendeten einen 12-jährigen Bürgerkrieg, der gemäß dem späteren Bericht der Wahrheitskommission der UNO (im Jahre 1993 vorgelegt) 75 000 Todesopfer gefordert hatte, dazu 8000 Verschwundene sowie Tausende von Verletzten und Vertriebenen. Begonnen hatte der Konflikt mit der Ermordung des katholischen Erzbischofs von El Salvador, Oscar Arnulfo Romero. Er wurde am 24. März 1980 während der Messe erschossen. Am Tag zuvor hatte er die bereits seit den 70er Jahren zunehmende Gewalt im Land kritisiert und die Angehörigen der Armee dazu aufgerufen, sich unmenschlichen Befehlen zu widersetzen. Das Verbrechen an Romero wurde bis heute genauso wenig aufgeklärt wie die zahlreichen Massaker, welche dem Militär nahestehende "Todesschwadronen" während des Bürgerkrieges an der Zivilbevölkerung verübt hatten.

Friedensverträge nur "halb erfüllt"

Bischof Medardo Gómez von der lutherischen Kirche El Salvadors bezeichnete die Friedensverträge in einer Gedenkversanstaltung am Donnerstag (Ortszeit) als nur "halb erfüllt". So hat es zwar Fortschritte gegeben, wie etwa die Halbierung der salvadorianischen Armee und der Umbau der Rebellengruppe FMLN in eine politische Partei. Doch angesichts von verbreiteter Armut, Gewalt und massenhafter Auswanderung in die USA überwiegen laut Bischof Gómez die "nicht eingelösten Versprechen". Ähnlich äußerte sich vor wenigen Tagen Reverend Tomás Castro von der Baptistenkirche Salvadors: "Man kann nicht von Frieden sprechen, wenn es kein Brot gibt."

43 Prozent der 6,8 Millionen Einwohner El Salvadors gelten laut UNO-Statistik als arm. Wie in keinem anderen Land Lateinamerikas versuchen die Salvadorianer durch Auswanderung der Misere zu begegnen. Alle zwei Minuten verlässt ein Salvadorianer sein Land, die meisten von ihnen auf der Suche nach einem besseren Leben in den USA. Zweieinhalb Millionen leben dort bereits, meist als illegale Gastarbeiter. Deren Heimüberweisungen von jährlich 3,3 Milliarden Dollar (Schätzung Zentralbank für 2006) übertreffen die traditionellen Exporterlöse wie etwa aus Kaffee oder der Textilindustrie um das Mehrfache.

Gescheiterte Politik der "superharten Hand"

Zudem machen gewalttätige Jugendbanden Städte und Armenviertel unsicher. Die stark gestiegene Alltagsgewalt wird von den Salvadorianern laut Umfragen als grösstes Problem wahrgenommen. Doch auch die "Politik der superharten Hand" unter dem gegenwärtigen konservativen Präsidenten Tony Saca konnte die Gewalt bisher nicht eindämmen. Im Tagesdurchschnitt werden in El Salvador 11 Menschen ermordet. Mit einer Homizidrate von 58 Morden je 100 000 Einwohner übertrifft das kleine zentralamerikanische Land von der Größe Hessens selbst Kolumbien. El Salvador gilt inzwischen als gewalttätigstes Land des Kontinents.

Die FMLN, die seit 12 Jahren die politische Opposition des Landes darstellt, macht El Salvadors streng marktwirtschaftlichen Kurs unter seinen traditionell rechtsgerichteten und US-freundlichen Regierungen für Armut und Gewalt verantwortlich. "Die Ideale des freien Marktes haben nur einigen wenigen in diesem Land genutzt", sagt der FMLN-Abgeordnete Salvador Arias. 1998 hatte El Salvador Strom, Telefon und Rentenversicherungen privatisiert. 2001 hat es den Dollar als offizielles Zahlungsmittel eingeführt. 2004 schloss es als erstes Land Mittelamerikas ein umstrittenes Freihandelsabkommen mti den USA ab. Dieses wird vom Ökonomen Raúl Moreno als "Gnadenschuss für die salvadorianische Landwirtschaft" bezeichnet. Denn viele der auf Selbstversorgung ausgerichteten Maisbauern können mit den subventionierten Importprodukten aus den USA nicht konkurrieren.

Regierung und Opposition El Salvadors werden am Dienstag (16. Januar) den 15. Jahrestag des Friedensschlusses gemeinsam feiern. Vorgesehen ist die Teilnahme von zahlreichen lateinamerikanischen Staatschefs (Mittelamerika, Mexiko, Panama, Kolumbien) sowie von UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon.