Kuba: Der Kampf um die Nachfolge beginnt erst

Topfavorit ist Raúl Castro. Geheimfavorit ist Carlos Lage.

San José / Havanna. Aufs Erste scheint die Nachfolge von Fidel Castro (81) gelungen. Viele Kuba-Experten erwarten, dass Raúl Castro am kommenden Sonntag zum neuen Präsidenten gewählt wird. Dann bestimmt das kubanische Einparteienparlament die neue Regierung Kubas, den 31-köpfigen Staatsrat. Raúl Castro als dessen Präsidenten erwartet auch Bert Hoffmann vom Lateinamerika-Institut in Hamburg. Denn als „großer Integrierer" habe der jüngere Castrobruder seit fast 19 Monaten für einen sanften Machtübergang gesorgt. Zudem hat er mit seiner Forderung nach einem „strukturellen Wandel" die Grundsteine für eine behutsame wirtschaftliche Liberalisierung der staatlich kontrollierten Wirtschaft gesogt.

Vermieden hat Fidel Castro mit seinem Abtritt auf Raten ein abruptes Ende des sozialistischen Experiments auf Kuba. Die Gefahr ist dem abtretenden Chefkommandant sehr wohl bewusst. In seinen zahlreichen Presseartikeln wies er explizit auf die Erfahrungen Osteuropas hin, wo 1989 die sozialistischen Regierungen schlagartig einknickten.

Raúl kann nur Übergangsfigur sein

Doch Raúl Castro, derzeit offiziell interimistischer Staatschef sowie Verteidigungsminister, kann mit seinen 76 Jahren nur Übergangsfigur bleiben. Er repräsentiert zusammen mit den Armeegenerälen die alte Garde der Revolution. Sie kontrollieren Armee, innere Sicherheit und Wirtschaft auf Kuba. In den von Raúl Castro angeführten Generälen sieht der exilkubanische Ökonom und Kuba-Fachautor Eugenio Yañez den Kern der Macht auf Kuba – aber auch die Gefahr für die langfristige politische Stabilität. Noch ist es dem engsten Führungszirkel nicht gelungen, einen Nachfolger der jüngeren Generation zu finden.

Machtkampf hinter Kulissen

Auch wenn die Nachfolge Fidel Castros aufs Erste gelungen ist, ist sie damit nicht auf Dauer gelöst. Einiges deutet darauf hin, dass hinter den Kulissen bereits die jüngere Generation um die zukünftige Macht kämpft. Jüngstes Indiz ist ein brisantes Video, das seit rund zwei Wochen in zahlreichen Kopien in Havanna zirkuliert. Es ist die Aufzeichnung einer Diskussion zwischen Universitätsstudenten und Parlamentspräsident Ricardo Alarcón (70). Darin macht der in Kubas staatlich kontrollierten Medien sonst populäre Politiker gegenüber den Studenten keine gute Figur. Denn er bleibt die Antworten auf Fragen schuldig, die Kubas Bürger sonst nicht zu stellen wagen: Warum dürfen Kubaner nicht frei ins Ausland reisen? Warum werden Kubas Arbeiter in wertlosen Peso bezahlt, während viele Güter des Alltags nur gegen Devisen erhältlich sind? Warum hat nur eine kleine Minderheit der Kubaner freien Zugang zum Internet?

Das Video ist eine Ohrfeige für Havannas Polit-Establishment. Ein westlicher Diplomat in Havanna vermutet, dass die parteiinternen Reformer dafür sorgten, es durchsickern zu lassen. Der bekannteste dieser Reformer ist Carlos Lage (56), Exekutivsekretär des Staatsrats und damit faktisch Premierminister Kubas. Dazu passt, dass die beiden Söhne Lages eine führende Rolle in der aufmüpfig gewordenen Studentenschaft einnehmen, und dort mit unorthodoxen Äußerungen auffallen.

Sollte Kubas Parlament am kommenden Sonntag Carlos Lage zum Präsidenten wählen - oder einen anderen Reformer - wäre das eine Sensation in Kuba. Doch auch Lage ist Teil des Polit-Establishments in Havanna, und das hat in den letzten Monaten mehrfach bewiesen, dass die unter Raúl Castro begonnene vorsichige Öffnung eng begrenzt ist.

Einparteienherrschaft und Repression bleiben

Zwar wurden erst vergangene Woche sieben vorzeitige Entlassungen von Polithäftlinge angekündigt, so viel wie lange nicht mehr, doch 230 Oppositionelle sitzen immer noch unter menschenunwürdigen Bedingungen in Haft. Zwar loben katholische Kirche und Regierung gegenseitig ihre guten Beziehungen. Doch die Staatssicherheit dringt prügelnd in Kirchenräume ein, wenn sie dort oppositionelles Tun vermutet – so erst im vergangenen Dezember in Santiago de Cuba geschehen.

Ganz gleich, wer am kommenden Sonntag in Kubas Regierung gewählt wird: Nicht zur Debatte steht die Einparteienherrschaft. Viele Kubakenner bezweifeln darum, dass der von Raúl Castro angestoßene und von Fidel Castro gut geheißene „strukturelle Wandel" möglich ist. Zu ihnen gehört der Exilkubaner Rafael Rojas. Laut dem in Mexiko lehrenden Geschichtsprofessor versucht Kubas Führung derzeit, „Pluralismus innerhalb der Einheitspartei" einzuführen – ein Ding der Unmöglichkeit.