Havanna: Die neuen Reichen und die alten Millionäre

Wem dient Kubas neuer Feldzug gegen die Korruption?

Die rund 30 000 Angestellten des staatlichen kubanischen Tankstellenbetreibers Cupet müssen sich derzeit einen neuen Job suchen. Unter dem Vorwurf der Korruption wurden sie Ende des vergangenen Jahres kollektiv entlassen. Begleitet von einer breit angelegten Kampagne gegen die „neuen Reichen“ ließ sie Staatschef Fidel Castro durch ihm treu ergebene, so genannte „Sozialarbeiter“ aus den Reihen der kommunistischen Partei ersetzen.

Zugleich machte Castro das erste Mal öffentlich Angaben zum Umfang der alltäglichen Korruption auf der Karibikinsel: Seit dem Personalaustausch an Cupets Zapfsäulen seien die Einnahmen um 100 000 US-Dollar täglich gestiegen.

"Generalisierte Korruption auf Kuba"
Oscar Espinosa, ein früherer Zentralbankfunktionär, erstaunen die Zustände an Kubas Tankstellen nicht. „Es gibt eine generalisierte Korruption auf Kuba, in allen Bereichen des Lebens“, sagt der heute führende Wirtschafsanalyst innerhalb der kubanischen Oppositionsbewegung. Espinosas Erklärung ist simpel: „Die Leute können von dem Gehalt, das ihnen der Staat zugesteht, nicht leben. Also stehlen sie, um zu überleben. Wer in Kuba eine Stelle sucht, fragt nicht: Wieviel verdiene ich? Sondern er fragt sich: Wieviel kann ich aus dem Betrieb abzweigen?“

Die Korruption ist dabei keinesfalls auf den Alltag beschränkt. So wurden in der vergangenen Woche (6. Januar) mehrere lokale Parteifunktionäre für Unterschlagungen zu bis zu 20 Jahren Haft verurteilt. Gerüchte gibt es regelmäßig auch über Millionenskandele bis in die höchsten Führungsspitzen Kubas. Über solche Fälle informiert die staatlich kontrollierte Presse Kubas zwar nicht, doch die Gerüchteküche in Havanna brodelt dafür umso heftiger. So sollen im vergangenen Jahr mehrere Dirigenten aus Castros Nachwuchsorganisation der „Union der Jungen Kommunisten“ Geld aus dem Sozialprogramm „Schlacht der Ideen“ abgezweigt haben. Näheres weiß man nicht. Die verdächtigten Funktionäre sind in Kuba schlicht von der Bildfläche verschwunden und werden in der Presse auch nicht mehr erwähnt.

Eine Serie weiterer Skandale wurden aus dem von Fidel Castros Bruder Raúl dominierten Tourismusbereich bekannt. Der grösste darunter war derjenige um den damaligen Präsidenten der Holding Cubanacán, Juan José Vega, der einen zweistelligen Millionenbetrag abgezweigt haben soll. Unwillentlich zur Aufdeckung dieses Skandals beigetragen hatte die Schweizer Großbank UBS. Sie war im Mai 2004 für ihre milliardenschweren Dollarbargeldgeschäfte mit Kuba von der US-amerikanischen Zentralbank mit 100 Millionen Dollar gebüsst worden. Als Castro daraufhin im November 2004 allen Devisenfirmen in Kuba den Umtausch ihrer Dollars in konvertible Pesos anordnete, kamen die schwarzen Löcher in den Dollarkassen der Cubanacán ans Tageslicht.

Angefangen hat es mit der Einführung des US-Dollars
Einen Meilenstein in der Korruptionsgeschichte Kubas gesetzt hatte schließlich der frühere kubanische Fischereiminister Rolando Rodríguez Romay. Ihm war in den 90er Jahren das Kunststück gelungen, die gesamte kubanische Fischereiflotte – mehr als 100 Schiffe – über Scheinfirmen zu verscherbeln. Die Grundlage für solche Exzesse hat Castro selbst 1993 gelegt, als er den US-Dollar auf Kuba legalisierte und in beschränktem Rahmen private Initiative innerhalb der sozialistischen Planwirtschaft zuließ. In der Folge haben etliche Funktionäre außerhalb der Castrofamilie einen erklecklichen Reichtum angehäuft.

Laut einer Untersuchung der einflussreichen kubanischen Exilorganisation „Fundación Nacional Cubano Americana“ in Miami verfügt der Exfischereiminister Rodriguez über ein privates Vermögen von über 50 Millionen US-Dollar. Genauso viel wird Vilma Espin nachgesagt, der geschiedenen Ehefrau Raúl Castros, sowie dem früheren Tourismusminister Osmany Cienfuegos. Noch höher liegt das Vermögen von Ramiro Valdés, dem Präsidenten der im Elektronikgüterhandel taetigen Copextel: Er kommt mit 150 Mio Dollar schon gefährlich nahe an dasjenige Castros heran, der laut dem Magazin Forbes über 550 Mio Dollar verfügt.

Bereits seit zwei Jahren ist Castro dabei, die „liberalen Fehler“ der 90er Jahre wieder zu korrigieren. Kubanische Firmen dürfen keine eigene Dollarkonten mehr halten. Deren Chefs werden zudem strikt kontrolliert, und dürfen keine Verträge mehr unterschreiben, ohne vorher die Zentralbank um Erlaubnis gefragt zu haben. Die Zahl der im Exportgeschäft tätigen Firmen wurde halbiert, und in der Freihandelszone bei Havanna reihenweise Firmen geschlossen.

Auch den gewöhnlichen Kubanern wurde die ohnehin beschränkte Liste zulässiger privater Familienbetriebe weiter limitiert.

"Sie wollen so viel kontrollieren, dass sie am Ende nichts kontrollieren können"
„Diese Maßnahmen helfen nicht“, sagt der Ökonom Espinosa. Im Gegenteil: „Die Rezentralisierung bereitet den Boden für steigende Korruption. Denn sie wollen so viel kontrollieren, dass sie am Ende nichts kontrollieren können.“

Espinosa glaubt darum auch nicht, dass Castros aktueller Feldzug gegen die „neuen Reichen“ tatsächlich die Eliminierung der Korruption zum Ziel hat. „Was die Regierung fürchtet, das ist die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Bürgers. Sie möchte darum alle als Angestellte des Staates haben. Das ist die Philosophie eines über die Ökonomie kontrollierten Bürgers.“