Beim WM-Eröffnungsgast Costa Rica herrschen seltsame Vorstellungen über Deutschland
San José. "Deutschland", sagt der fussballbegeisterte Passant in Costa Ricas Hauptstadt San José, "hat eine sehr gute Polizei, so wie die Gestapo es war. Die wissen, wie man fertig wird mit Verbrechern." Auf die Frage, was er denn sonst noch über den Gastgeber der Fussball-WM zu wissen glaube, erwähnt der Costa-Ricaner wiederum Hitlers Geheimpolizei: "In der Gestapo hat Ordnung und Disziplin geherrscht, und das ist auch im deutschen Fussball so. Darum werden sie das Eröffnungsspiel gegen uns gewinnen."
Was fällt Ihnen zu Deutschland ein? Wer sich umhört unter den Ticos, wie die Einwohner Costa Ricas heißen, erhält ein unbefangenes Lachen. Und dazu Antworten, die einen in Deutschland glatt vor den Richter bringen würden. Klar, ist auch einiges an unverfänglicher deutscher Fussballprominenz bekannt. Doch fällt vor allem ein Name: Adolf Hitler. Und der muss in Costa Rica nicht unbedingt etwas Schlechtes bedeuten.
Den kommenden Freitag hat die Regierung Costa Ricas vorsorglich zum arbeitsfreien Tag erklärt. Wenn um 10 Uhr morgens Ortszeit Costa Rica gegen Deutschland antritt, werden Geschäfte, Behörden und Schulen geschlossen sein. Die Nation ist vor Großleinwänden versammelt, um die "Tricolor" anzufeuern, die Nationalmannschaft Costa Ricas.
Wie es im Land des Gegners heute aussieht, über 60 Jahre nach dem Ende der Nazidiktatur, weiß dabei kaum jemand recht. Einige Ticos nennen Würstchen und Bier. Andere wollen gehört haben, dass die Deutschen Unmengen von Salat essen. Nichts anfangen kann man auch auf Nachfrage mit Namen wie Angela Merkel (Bundeskanzlerin), Martin Luther (Reformator) oder Johann Wolfgang Goethe (Dichter). Nie gehört, so das Ergebnis der zufälligen Befragungen in San Josés Straßen.
Die Medien in Costa Rica tragen wenig zur Aufklärung über das Land des Gastgebers bei, auch wenn sie pausenlos Vorberichte zur Fussball-WM senden. Den Alltag in Deutschland verständlich zu machen, hat bisher einzig ein Radiosender in San José versucht. Er widmete Deutschlands "Geschosszügen" eine Sondersendung. Atemlos berichtete der Tico-Korrespondent live aus dem ICE. Das allgemeine Erstaunen über die Fortbewegung der Teutonen war groß.
Mehr auf die fleischlichen Aspekte konzentrierte sich die Zeitung "Diario Extra", die einzige in Costa Rica, die bisher eine Sonderbeilage zu Deutschland gebracht hat. Sie enthält detaillierte Angaben zu Deutschlands Bordellen, mit umgerechneten Preisangaben in Colones, der einheimischen Währung. Zu ihrem Favoriten kürte das Boulevardblatt die "Sündenstadt München". Dort konnte der Sonderkorrespondent Ariel Chaves offenbar eine besonders große Zahl blonder Prostituierter ausmachen, die zudem aus der Sicht des Mittelamerikaners nicht zu groß gewachsen sind. Sein Fazit: "In der Stadt, in der Costa Rica die Weltmeisterschaft mit Deutschland eröffnet, ist die Sünde überall."
20 000 Ticos werden laut Angaben von Reiseveranstaltern zur Weltmeisterschaft nach Deutschland reisen. Was es dort außer Fussball und Fleischlichem gibt, hat "Diario Extra" in ein knappen Artikel unter dem Titel "Wie sind die Deutschen?" zusammengefasst. "Bettlern Almosen zu geben ist verboten", werden die costa-ricanischen Schlachtenbummler gewarnt. Auch seien die Deutschen "auf den ersten Blick weniger freundlich", doch dies liege nur "an der Natur ihrer Sprache." Ferner solle man bedenken, "dass die Germanen über alle anderen Dinge die Automobile lieben" und sich "ihren Hunden zärtlich verbunden fühlen."
Mit einer knappen Übersicht über die deutsche Geschichte rundet die costa-ricanische Zeitung das Bild des Gastgebers ab. Neben "Persönlichkeiten wie Hitler und Bismarck" habe Deutschland auch "andere große Figuren" zu bieten. In einem Atemzug genannt werden "der Musiker Richard Wagner, das Modell Claudia Schiffer, der Physiker Albert Einstein und der Weise Goethe".
Wer nicht so weise ist, das Thema Nazideutschland schön zu umschiffen, wird vor den Konsequenzen gewarnt: "Es ist keine sehr gute Idee, 'Heil Hitler' zu sagen, oder andere Anspielungen dieser Art auf das Dritte Reich zu machen, denn das könnte Komplikationen verursachen oder sogar eine Festnahme provozieren."