Von der Tortillakrise in Mexiko zur Hungerrevolte in Haiti

Ein Jahr nach Mexikos Tortillakrise kommt es in Haiti zu Hungerprotesten. Die Region ist gefährdet - nächster Kandidat für eine Hungerrevolte ist Nicaragua. Ein deutscher Entwicklungsexperte spricht von einem "Pulverfass".

In Haiti haben gewalttätige Hungerproteste der vergangenen Woche fünf Todesopfer und Dutzende von Verletzten gefordert. Anlass waren Preissteigerungen von durchschnittlich 50 Prozent innert Jahresfrist für die Grundnahrungsmittel Reis, Bohnen, Früchte und Milch. Erneut
efährdet ist damit die 2006 eingeleitete Stabilisierung der Karibiknation.

Seit mehreren Tagen zu gewalttätigen Tumulten kommt es auch in Nicaragua, dem nach Haiti zweitärmsten Land Amerikas. In Nicaraguas traditionell aufständischer Atlantikregion vermengen sich derzeit alte politische Konflikte und die verzweifelte wirtschaftliche Lage zu einem „Pulverfass", warnt dort der deutsche Entwicklungshelfer Jürgen Schmitz. „Die Situation an der Atlantikküste ist so bedenklich, dass ich mir vorstellen kann, dass es knallt."

Wie in Nicaragua sind auch im Rest Mittelamerikas Reis und Bohnen bis zu doppelt so teuer wie noch vor einem Jahr. „Die Leute essen weniger", berichtet aus Guatemala der chilenische Entwicklungshelfer Pedro Hoffmann über die Folgen. Die Zahl der unterernährten Kleinkinder sei deutlich gestiegen.

Ähnlich verzweifelt ist die Lage in Honduras und El Salvador, wo der durchschnittliche Monatslohn von rund 200 Franken nicht mehr ausreicht, um das Notwendigste zu kaufen. In beiden Ländern steigt die Armutsemigration in die USA an.

Im vergleichsweise wohlhabenden Mexiko, der grössten Wirtschaftsnation Lateinamerikas, kam es bereits vor über einem Jahr zu Protesten gegen gestiegene Lebensmittelpreise, bekannt als Tortillakrise. Ausgelöst wurde sie durch den Ethanol-Boom in den USA, der die Maispreise kurzfristig um 40 Prozent steigen liess und seither weiter klettern lässt. Das trifft vor allem die 45 der 104 Millionen Mexikaner, die in Armut leben. Mit dem Mindestlohn können sie heute noch knapp sechs Kilogramm des Grundnahrungsmittels Tortilla kaufen. Vor 15 Jahren waren es noch 38 Kilogramm.

Auch das sozialistische Kuba ist von den hohen Lebensmittelpreisen getroffen. Denn dessen Regierung führt jährlich für schätzungsweise 1,6 Milliarden US-Dollar Lebensmittel ein, die sie zu stark subventionierten Preisen an die Bevölkerung abgibt. Zur Entlastung der Staatskasse versucht die neue Regierung unter Raúl Castro, die brachliegende einheimische Landwirtschaft Kubas aus den Fesseln staatlicher Planung zu befreien – und fördert die private Bewirtschaftung von Agrarland. Neuerdings sind sogar Auslandsinvestitionen erlaubt.